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(aus : Heven - einst
und jetzt, Heft 3)
Jörgen Beckmann /
Klaus Beilmann
Die Bombardierung der Staumauer des Möhnesees und die Auswirkungen
im Hevener Ruhrtal
In der Nacht vom 16.
auf den 17. Mai 1943 flog die Royal Air Force überraschend Tiefangriffe aus
etwa 18 m Höhe auf die Staumauern der Möhne-, Sorpe- und Edertalsperre. Damit
wollten die Alliierten im II. Weltkrieg die deutsche Rüstungsindustrie
erheblich schwächen. Die "Lancaster" der Royal Air Force warfen dabei
mit einer Anfluggeschwindigkeit von 380 km/h 383 m vor der Staumauer 4t schwere
Spezialbomben ab, und zwar sogenannte Rollbomben, die im Flugzeug kurz vor dem
Abwurf in gegenläufige Rotationen mit 500 Umdrehungen pro Minute gebracht
wurden. Dadurch hüpften die Bomben nach dem Kontakt mit der Wasseroberfläche
in 60 m Sprüngen über die vor der Staumauer installierten Sicherungsanlagen
und -netze und gelangten somit direkt an die Staumauer. Hier sorgte nun die
Rotation der Bomben dafür, daß diese auf der Wasserseite an der Staumauer
hinunterrollten und mittels eines eingebauten Druckzünders in 10 m Wassertiefe
explodierten, denn dort entfalteten sie im direkten Kontakt mit der Staumauer
ihre optimale Sprengwirkung.
Während der Erddamm
der Sorpetalsperrrmauer den Angriffen standhielt, wurde die Möhnetalsperrmauer,
die zwischen 1908 bis 1913 aus Bruchsteinen erbaut worden war, gegen 0.49 Uhr
durch eine Rollbombe in etwa 10 m Wassertiefe so getroffen, daß der obere
mittlere Teil der Sperrmauer auf 77 m Länge und 22 m Tiefe brach.

Möhnetalsperre (Ruhrtalsperrenverein)
Innerhalb von 12
Stunden flossen daraufhin 116 Millionen cbm von den im Möhnestausee
befindlichen 132,2 Millionen cbm Wasser aus. Die durch die Bombardierung
plötzlich freigesetzten Wassermassen entsprachen dem 40-fachen Inhalt des
Kemnader-Stausees. Während dieser kurzen Zeitspanne strömten also 88 % der
Wasservorräte des Möhnestausees aus.
Im Möhnetal maß man
eine Flutwelle von 10 m Höhe, und als diese dann nach etwa 25 Stunden über das
Ruhrtal zum Rhein gelangte, zeigte selbst dieser noch Hochwasser. Man schätzt,
daß anfänglich 8800 cbm Wasser pro Sekunde durch das Bombenloch in der
Möhnetalsperrmauer ins Tal stürzten. Die daraus resultierende Flutwelle
zerstörte bis in einer Entfernung von über 50 km sämtliche im Möhne- und
folgenden Ruhrtal befindlichen Brücken, Anlagen und Häuser. Erst hinter
Hattingen endete die zerstörerische Wirkung dieses Hochwassers.
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Durch
die Flutwelle wurden |
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a) getötet: |
545
Deutsche (146 Männer, 262 Frauen, 137 Kinder) und |
749
Fremdarbeiter und Gefangene |
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b) als
Verlust gemeldet: |
571
Stück Großvieh (Rinder, Pferde), |
7
Kälber, |
625
Schweine, |
5113
Stück Kleinvieh, und |
33
Bienenvölker |
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c) völlig
zerstört: |
das
Hauptkraftwerk an der Staumauer, |
2 kleine
Kraftwerke im Möhnetal, |
7
Stauwehre, |
7
Eisenbahnbrücken, |
30 km
Eisenbahnlinie, |
18
Straßenbrücken, |
11
Fabriken, 95 Wohnhäuser und |
2822 ha
landwirtschaftl.Nutzfläche |
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d) schwer
beschädigt: |
12
Kraftwerke, |
25
Wasserwerke, |
3
Kläranlagen, |
2
Eisenbahnbrücken, |
7
Straßenbrücken, |
41
Fabriken, 20 km Straßen, |
248
Wohnhäuser und |
15 ha
landwirtschaftl. Nutzfläche |
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e) mittelschwer
beschädigt: |
12
Straßenbrücken, |
40
Fabriken, |
134
Wohnhäuser und |
1236 ha
landwirtschaftl. Nutzfläche |
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Da die Alarmmeldungen
aufgrund der Zerstörungen nicht schnell genug weitergegeben werden konnten,
kamen in unteren Möhne- und mittlerem Ruhrtal 1294 Menschen in der Flutwelle
ums Leben. Unter ihnen waren auch ein Bommeraner und zwei Herbeder. Heven hatte
keine Toten als Folgen der Katastrophe zu beklagen, dagegen aber mehrere
zerstörte Häuser.

Alliierte
Erfolgsmeldung am 18.5.1943 in "The Daily Telegraph"

Das Loch im Staudamm war 77 m lang, 105 m mußten jedoch erneuert

( Möhnetalsperre 2013)
In Heven erreichte
das Hochwasser etwa gegen 11.00 Uhr morgens seinen Höchststand. Die Hevener
Bauern und Bürger waren noch früh genug von der Polizei vor den herannahenden
Wassermassen gewarnt worden. So konnten die Pferde und Rinder noch rechtzeitig
aus den gefährdeten Ruhrweiden in die Stallungen geholt und die Häuser an der
Insel und in der Lake geräumt werden. In allen Haushaltungen konnte noch für
genügend Trinkwasservorräte gesorgt werden, denn während der Überschwemmung
mußten bis hin nach Essen die Trinkwassergewinnungsanlagen schließen. Somit
war für das Gebiet zwischen Hamm, Hagen und Bochum die Wasserversorgung
vorübergehend zusammengebrochen. In Witten war sie nur für 33 Stunden
ausgefallen; danach mußte das Leitungswasser bis hin zum 2.Juni vor Gebrauch
abgekocht werden.
Herbert Kerkes, der
zur Zeit der Katastrophe Soldat war und während seines Fronturlaubes bei seinen
Eltern auf der Insel (in Heven) weilte, erinnert sich wie folgt:
Die erste Warnung
"es gibt Hochwasser" erhielten die Inselbewohner gegen 6.30 Uhr vom
Betriebsleiter der nahegelegenen Kläranlage. Etwa eine halbe Stunde später
wurden die Bewohner der Insel von der Polizei aufgefordert, die dortigen Häuser
von allen Personen zu räumen, weil die Möhnetalsperre vergangene Nacht
bombardiert worden sei. Keine 30 Minuten später wurde allen Inselbewohnern
klar, daß sich hier eine Katastrophe anbahnte, denn der Wasserspiegel der Ruhr
stieg sprunghaft an. Die aufkommende Flut trieb Holz und andere Gegenstände vor
sich her. Die meisten Bewohner der Häuser an der Insel hatten sich früh genug
an dem Hang des unteren Kleffs, der im Volksmund auch "Hippentempel"
genannt wurde, in Sicherheit gebracht. Die auf der Insel zurückgebliebenen
Bewohner waren der Fährmann August Rosendahl, August Dönhoff mit Tochter,
Sohn, Nachbarin Glas und Nachbarn Kathagen sowie die beiden Brüder Herbert und
Ernst Kerkes. Herbert hatte vor zwei Tagen von der Ostfront kommend seinen
Heimaturlaub angetreten. Als August Rosendahl bemerkte, daß sein Haus (das
Schleusenwärterhaus) durch das Eindringen der Wassermassen unbewohnbar wurde,
stieg er in seinen Kahn und band diesen an einem Baum hinter dem von Dönhoff
bewohnten massiv gebauten Haus fest, nachdem er seine Nachbarn Dönhoff, Glas
und Kathagen in letzter Sekunde durch Aufnahme in sein kleines Boot gerettet
hatte. In dieser bedrohlichen Lage mußten die sechs bis zum späten Nachmittag
in dem Kahn ausharren, denn gegen die starke Strömung kamen sie rudernd nicht
an. Die Gebrüder Kerkes hatten das von ihren Eltern bewohnte Fachwerkhaus nicht
verlassen. Als die ansteigende Flut sie bedrohte, hatten sie versucht, das sich
an der Hausfront anstauende Treibholz durch eine Luke im Giebel abzustoßen.
Durch die schnell ansteigenden Wassermassen wurde der Druck auf das Haus jedoch
so stark, daß es in allen Fugen krachte und wegen seiner Unterkellerung
unterspült wurde. Somit zogen sich die beiden Brüder Kerkes auf den
angrenzenden nicht unterkellerten Stall zurück. Von hier aus beobachteten sie,
wie ein Haus nach dem andern in unmittelbarer Nachbarschaft von den Fluten
hinweggerissen wurde. Bei jedem Hauszusammenbruch stieg eine riesige Staubwolke
auf. Das Fachwerkhaus der Familie Kracht hob sich von seinem Fundament ab und
wurde ein Stück von der Strömung mitgetragen, bevor es in sich
zusammenstürzte.
Erst am späten
Nachmittag war das Hochwasser soweit zurückgegangen, daß die acht im Kahn bzw.
auf dem Stalldach ausharrenden Inselbewohner wieder sicheren Boden unter den
Füßen hatten. Gegen Abend war die Ruhr wieder ein friedlicher Fluß. Nur die
Schlamm- und Geröllmassen sowie die Zerstörungen zeugten noch von der
vorangegangenen Katastrophe. Viele Hevener hatten sich das traurige Ereignis aus
sicherer Distanz vom Kleff aus angeschaut. Die Unterbringung und Versorgung der
obdachlos gewordenen Inselbewohner erfolgte in der Lakeschule sowie privat bei
Bekannten bzw. Verwandten.
Die Höhe des
Hochwassers mit 6,98 m und die Größe seiner Verheerungen waren weitaus
größer als die des bisher höchsten bekannten Hochwassers des Jahres 1890 m.
Trotz der Schwierigkeiten der Materialbeschaffung während des Krieges wurde die
Möhnesperrmauer noch im selben Jahr, und zwar am 25.September 1943 wieder
fertiggestellt. Der Möhnestausee konnte nach nur 130 Tagen erneut eingestaut
werden.
Aus der Sicht des
Angreifers war die Zerstörung der Möhnestaumauer ein großer Erfolg, denn er
schränkte die Arbeitsfähigkeit der Ruhrgebietsindustrie stark ein. Doch durch
den schnellen Wiederaufbau des Staudammes war der Zusammenbruch der hiesigen
Wirtschaft gebannt. Das Ziel der militärischen Strategie der damaligen
Alliierten, weite Industriebereiche im Ruhrgebiet lahmzulegen, um somit einen
Großteil des militärischen Nachschubwesens der deutschen Wehrmacht zu
unterbinden bzw. auszuschalten, wurde nicht erreicht.

17.5.1943
Blick ruhrabwärts
vom Vormholzer Hang "Ein Bäumchen" aus: Wie eine Insel erscheinen die
Siedlung und die Brennerei in der Lake. Die Wassermassen reichen bis an den
Kalweshang in Querenburg und in das untere Ölbachtal. Selbst die Häuser an der
Luhnmühle werden allseitig von Wasser umflossen. Rechts von der Mitte liegt die
Zeche Klosterbusch, von der der Kamin und Steinbruch sowie der daran grenzende
Kalwes-Busch sichtbar ist.
Die Ausmaße des
Hochwassers übertreffen die Größe des heutigen Kemnaderstausees bei weitem.

17.5.1943
Etwa 100m
ruhrabwärts der neuen Ruhrbrücke Heven-Herbede: Im Vordergrund liegen die
Gebäude des ehemaligen Anwesens NEHRING. Im Hintergrund links des Hauses ist
die Federnfabrik DITTMANN & NEUHAUS zu erkennen. Die Nehringschen Gebäude
waren vom Hochwasser stark beschädigt und wurden später abgerissen. Die
vordere mit Wasser überspülte Fläche dient heute als Parkplatz für Besucher
des Kemnader-Stausees.

17.5.1943
Blick auf die
Schleuse vom Bruns-Berg aus:
Die Häuser "an
der Insel" stehen tief im Hochwasser. Ein Teil von ihnen wird dadurch so
stark beschädigt, daß sie anschließend unbewohnbar waren und abgerissen
werden mußten. Das "alte Fährhaus" von Rosendahl, das am linken
oberen Bildrand zu erkennen ist, hielt dem Wasserdruck stand.
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Technische Daten der
Möhnetalsperre |
Stauinhalt: 134 500 000
cbm |
mittl.jährl.Zufluß: 204
500 000 cbm |
Stauzielhöhe über N.N.:
213,74 m |
Ausgleichsspeicher "
": 183,60 m |
Seeoberfläche: 1 037 ha |
Einzugsgebiet: 43 600 ha |
Mauerinhalt: 267 000 cbm |
größte Mauerhöhe:
40,30 m |
größte Mauerbreite:
34,20 m |
Krümmungsradius: y² =
1000 x |
Kronenlänge: 650 m |
Kronenbreite: 6,25 m |
überströmb.Kronenlänge:
262,50 m |
mittl.Leistung der beiden
Kraftwerke am Staudamm: 14.800.000 kWh/Jahr |
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als Vergleich die
technischen Daten des hiesigen Kemnader Stausees |
Stauinhalt 3 000 000 cbm |
Stauziel über N.N. 72 m |
Stauhöhe 2,6 m |
4 Wehrfelder a 25 m = 100
m |
maximaler Durchlaß 2300
cbm/s |
Wasserfläche 125 ha |
Staulänge 3 km |
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